Bericht über die Arbeit der Literatur-Performance-Gruppe: "Manchmal macht man ja doch was Neues. Nimmt bei der altgedienten Stammeisdiele einfach mal nicht das Lieblingseis. Zartbitter-Chili-Zimt statt Vanille und Erdbeer. Oder natürlich man nimmt sich einfach mal eine vollkommen abstrakte Frage, ein Thema wie: „Was ist der Mensch?“ und schreibt ein Theaterstück dazu. Wir haben das gemacht und festgestellt: Schmeckt auch nicht schlecht.

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Aufführung von „Der Mensch.“ sind wir, die Literatur-Performance-Gruppe, nun aber doch zurück zu unserem Lieblingseis gekommen: Dicht und gehaltvoll ist es, mit gefrorenen kleinen Erkenntnisstückchen, schmeckt trotzdem frisch und zugleich vertraut nach Buch. Wahrlich ein Gedicht. Wir sind einmal wieder bei der Literatur gelandet, wie sie in unseren Namen eingemeißelt steht. Die Literatur kommt dieses Mal aus Frankreich, vom enfant terrible des modernen Romanbetriebs: Michel Houellebecq. „Unterwerfung“ heißt sein neuestes Werk, erschienen am Tag des Charlie-Hebdo-Attentats und in der Folge durch Kultur- und Nachrichtensendungen hinauf, hinab und quer hindurch diskutiert. Es geht um Frankreich in sechs Jahren – ein Frankreich, das eine Partei der Muslimbrüder an die Regierung wählt. In dem der Islam das Leben einer dekadenten, saturierten, verfallenden und im Grunde schon längst hirntoten westlichen Gesellschaft am Kragen packt, durchschüttelt und auf den Kopf stellt. Und zugleich auf keinerlei Gegenwehr stößt, ihm kein Beharren und Verteidigen im Wege steht. Der Opportunisten mit saudischen Geldströmen umgarnt und der derweil die Sympathie wertkonservativer Rechter für sich gewinnt.

Gut vierzig Mal haben wir uns im letzten Jahr zusammen um Teekanne und Kaffeetassen geschart und über diese 271 Seiten zwischen grünen Pappendeckeln diskutiert. Stehen wir für Werte? Stehen wir auch für sie ein? Was ist unser Bild vom Islam – und was ist er vielleicht wirklich? Ist der Katholizismus wirklich anders? Und wie hängt das mit dem zusammen, was westliche Gesellschaften heute ausmacht? Sind wir nur mehr darauf aus, biologische Triebe zu befriedigen oder geht es uns hier noch um was?
Vom Achtklässler bis zum bei uns noch einmal hängen gebliebenen Studenten, mancher zum ersten, mancher zum letzten Mal – im geistigen Kollektivmagen verdaut stand dieser Roman mit diesen Fragen und, natürlich, mit manchen Antworten und Ideen in Theater, in Texte, Gesten, Blicke umverpackt Anfang Juli auf der Bühne. Nach Proben, Kopfzerbrechen, nach Zwischenhochs und Zwischentiefs steht dann am Schluss ein Wort: Ab. Und Applaus. Und dann, das versteht sich, dann suchen wir uns die Eissorte für nächstes Jahr heraus."