"Die Sache ist sehr einfach," sagte Goethe. "Um Prosa zu schreiben, muß man etwas zu sagen haben; wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch dadausw machen, wo denn ein Wort das andere gibt und zuletzt etwas herauskommt, das zwar nichts ist, aber doch aussieht, als wäre es was."
Sie werden sich womöglich fragen, was dadausw mit Dada zu tun haben mag. Was ist Dada?
Es gibt Berge und Meere, Häuser, Wasserleitungen und Eisenbahnen. In den Pampas lassen die Cowboys ihre weiten Lassos fliegen und in dem Golf von Neapel auf millionenmal gemaltem, besungenem und stereoskopiertem Hintergrunde schaukelt der romantische Aeppelkahn, der das deutsche Hochzeitspaar in seine schweren Träume wiegt. Dada hat das alles begriffen. Dada hat die Möglichkeiten der physikalischen Bewegung à outrance ausgenützt. Da bringen sie einem Weltanschauungen und Vereinsstatuten, da stehen die Styliten einer späten Kultur mit dem Glanz eines rechthaberischen Gesichtskrampfes: – Dada. Mohammedaner, Zwinglianer, Kantianer – jok, jok, jok. Dada hat die Weltanschauungen durch seine Fingerspitzen rinnen lassen, Dada ist der tänzerische Geist über den Moralen der Erde. Dada ist die große Parallelerscheinung zu den relativistischen Philosophien dieser Zeit, Dada ist kein Axiom, Dada ist ein Geisteszustand, der unabhängig von Schulen und Theorien ist, der die Persönlichkeit selbst angeht, ohne sie zu vergewaltigen. Man kann Dada nicht auf Grundsätze festlegen. Die Frage: „Was ist Dada?“ ist undadaistisch und schülerhaft in demselben Sinn wie es diese Frage vor einem Kunstwerk oder einem Phaenomen des Lebens wäre. Dada kann man nicht begreifen, Dada muß man erleben. Dada ist unmittelbar und selbstverständlich. Dadaist ist man, wenn man lebt. Dada ist der Indifferenzpunkt zwischen Inhalt und Form, Weib und Mann, Materie und Geist, indem es die Spitze des magischen Dreiecks ist, das sich über der linearen Polarität der menschlichen Dinge und Begriffe erhebt. Dada ist die amerikanische Seite des Buddhismus, es tobt, weil es schweigen kann, es handelt, weil es in der Ruhe ist.
Das Dada in dadausw bedeutet die Grundhaltung der ironischen Komik gegenüber der Welt. Ihr durchaus auch Sinnhaltiges beizugeben, aber in der Konfrontation mit dem gegebenen Sinn das Teleologische der Semiose zu verweigern. Es bedeutet, einen Erdbeerkuchen, ein Kruzifix oder ein Konzentrationslager zu sehen und dieses durchaus auch als solches erkennen zu vermögen, ihm aber die Macht abzusprechen, einen nun an Erdbeerkuchen, Kruzifixe und Konzentrationslager denken zu lassen und sich wohlüberlegt und gravitätisch über Erdbeerkuchen, Kruzifixe und Konzentrationslager äußern zu müssen oder aber zu schweigen. Stattdessen gibt das so verstandene Dada uns in jedem Moment die Hoheit, herzhaft zu lachen oder zu weinen oder aber gravitätisch etwas Wohlüberlegtes zu sagen, wenn es uns so beliebte. Oft genug erscheint uns aber nichts anderes angezeigt und sinnhaltig, als herzhaft zu lachen.
Die Menschen sind, wie die Erfahrung lehrt, mit einer nützlichen oder angenehmen Sache (einer Lebensweisheit, einem Hosenträger, einem cocktail etc.) nie ganz zufrieden, ehe sie nicht zumindest eine Moral, womöglich aber eine Religion daraus gemacht haben.
Während die Satire das Komische im Ernsten aufscheinen lässt und uns somit in gewisser Weise doch über das Ernste belehrt, heißt dadaistisch zu lachen, einfach so zu lachen. Wir machen uns in der Hauptsache nicht über die Sache lustig, sondern nehmen sie bloß als Anlass, uns in einem sehr metaphysischen Sinne lustig zu machen. Wir sind die Endorphine und das schallende Gelächter, die durch den Körper des Sisyphos strömen, aber wir sind doch keine Zyniker, denn im dadaistischen Witz ist uns das camussche Trotzdem ein heller und heiterer Sonnenstrahl.
[Dada] hält den Krieg und den Frieden in seiner Toga, aber es entscheidet sich für den Cherry Brandy Flip.
Damit ist dadausw nicht das Dada, das der Literaturhistoriker am Reißbrett des Studienbuches in klare Formen einbeschreibt, sondern es ist Dada usw. Es ergießt sich eine besondere dadaistische Haltung über die engen Grenzen der Begriffe hinaus in den lauwarmen Grießbrei einer Welt, die diese Haltung braucht. Dada (usw.) ist eine Geisteshaltung, mit der Sie durch Ihr Leben gehen können, ohne von Erdbeerkuchen, Kruzifixen und Konzentrationslagern erdolcht zu werden. Es bedeutet die Freiheit, zu denken, was zu denken Ihnen beliebt. Es bedeutet, die Dinge ganz ernst zu nehmen, aber sie deswegen doch nie im bleischweren Gewand des Ernstes regieren zu lassen. Der Witz öffnet ein Fenster in die Offenheit der Bedeutungen, in der kein Besonderes besonders sein kann und es doch nicht bedeutungslos ist. Es weht durch dieses Fenster der Wind des Denkens in Alternativen. Ziehen Sie mit einem festen Ruck die aus einem Fach über Ihrem Kopf gefallene Maske über Mund und Nase und atmen Sie Ambiguitätstoleranz.
Dada ruht in sich und handelt aus sich, so wie die Sonne handelt, wenn sie am Himmel aufsteigt oder wie wenn ein Baum wächst. Der Baum wächst, ohne wachsen zu wollen. Dada schiebt seinen Handlungen keine Motive unter, die ein „Ziel“ verfolgen. Dada gebiert nicht aus sich heraus Abstraktionen in Worten, Formeln und Systemen, die es auf die menschliche Gesellschaft angewendet wissen will. Es bedarf keines Beweises und keiner Rechtfertigung, weder durch Formeln noch durch Systeme.
Wer über Erdbeerkuchen, Kruzifixe und Konzentrationslager herzhaft lachen kann, der kann sagen: „Das Leben ist schön,“ obwohl es gleichzeitig unzweifelhaft den Anschein hat, dieses Leben wäre keiner Mühe wert. Wer sich nicht lustvoll leidend in den teerigen Malzkakao des Pathos wirft, wer sich nie ganz ernst nimmt und nie das, was man ihm sagt, der wird lange keine braunen und keine roten Hemden tragen und um Satisfaktion nicht mit dem Revolver, sondern mit einer Tasse Milchkaffee ersuchen.
[D]a Dada die Beziehungslosigkeit gegenüber allen Dingen ist und daher die Fähigkeit hat, mit allen Dingen in Beziehung zu treten, wendet es sich gegen jede Art von Ideologie, d. h. jede Art von Kampfzustand, gegen jede Hemmung, Barrière. Da Dada die Elastizität in sich selbst ist und nicht begreifen kann, wie man sich auf etwas festsetzt, sei es Geld, sei es eine Idee – gibt es das Beispiel einer vollkommenen unpathetischen Freiheit des Charakters. […] Ideologe ist jeder Mensch, der auf den Schwindel hereinfällt, den ihm sein eigener Intellekt vormacht, eine Idee, also das Symbol einer augenblicksapperzipierten Wirklichkeit habe absolute Realität. […] Ideologe ist auch der, welcher die „Freiheit“, die „Relativität“, insgesamt die Einsicht, daß sich die Kontur jedes Dinges verrückt, nichts Bestand hat, zu einer „festen Weltanschauung“ macht; wie denn die Nihilisten fast immer die unglaublichsten und beschränktesten Dogmatiker sind. Dada ist davon weit entfernt.
Die dadaistische Autonomie der Komik ist schließlich hier auch die besondere Vanille, mit der wir die Konditorcreme eines grundsätzlicheren, aber eben darum auch sehr allgemeinen semiotischen Interesses versetzen, bevor wir ihrer reichlich zwischen die zerebralen Biskuitböden dies- und jenseits des Bühnenrandes streichen. Unsere Scherze sind also insoweit auch „sehr ernste“, als wir sie als kleine, von grober Hand geschnitzte Dioramen der Wundersamkeiten des unsinnigen Sinns im Unsinn und seiner betriebsunfallhaften „allmählichen Verfertigung“ im Zuge bloßen Bezeugens verwenden.
Fragen Sie sich also, ob Sie nun etwas sehr Albernes sahen oder womöglich doch etwas Schlaues, so lachen wir herzlich, empfehlen Ihnen hinsichtlich dieser Frage ein kundiges Tattoo-Studio und reichen Ihnen hier einiges schöngeistiges Schüttgut als Tortenheber. Schreiben Sie sich ein Programmheft, das jedem Dramaturgen die spekulativen Wangen rosig machte, sinnglänzende Deutungstropfen auf das Frontispiz seines Antlitz‘ triebe und die von heißer Luft durchströmte Brust stolz schwellen würde – kurz: verfahren Sie wie sonst im Leben.
Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer Vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout es muß euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft‘s, wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
Zitate in der Reihenfolge ihres Erscheinens:
Gespräch mit Eckermann, 29. Januar 1827.
Huelsenbeck: Dada Almanach (1920).
Daimonides: Zur Theorie des dadaismus.
Huelsenbeck: Dada Almanach. Ursprünglich in: Ders.: Ende der Welt.
Huelsenbeck: Dada Almanach.
Goethe: Faust, V. 95-103.